Neusiedler See » Gewitter am Neusiedler See

Gewitter am Neusiedler See

Den plötzlichen Gewittersturm, der mich vor Jahren zur Flucht ins Schilfrohr zwang, war nichts gegen den am Nachmittag des 4.9.2016.

Es schien ein perfekter Badetag zu werden. Den Gennaker vorgespannt erreichte ich mit meiner Frau Susanne und deren Freundin Ana gegen fünfzehn Uhr eine kleine Bucht in der Nähe der Vogelinsel. Alles schien perfekt. Sechsundzwanzig Grad Wassertemperatur bei achtundzwanzig Grad Lufttemperatur und leichter Brise, sorgten für ausgiebigen Badefreuden. Für die späten Abendstunden war zwar eine Wetterverschlechterung prognostiziert, aber das zarte Wolkengebilde über dem Leithagebirge wirkte keineswegs beunruhigend. Keine halbe Stunde später verdichtete sich das Gebilde über der Stadt Rust und begann immer höher aufzusteigen. Entgegen dem Vorhaben noch gemütlich eine Jause zu uns zu nehmen, entschied ich mich zu sofortigen Aufbruch. Gennaker versorgt, Anker hoch und mit gut dreieinhalb Knoten Richtung Ruster Bucht 33.
Keine Minute zu früh. Schon auf Höhe der Schotterinsel hatte sich das Wolkengebilde zu einer mächtigen Cumulonimbus aufgetürmt, aus der sich in der Ferne schon schwache Regenschleier erkennen ließen. Zwar schien noch alles sehr weit weg zu sein doch irgendein innerer Drang zwang mich die Segel zu bergen und zu versorgen. Kaum hatte ich den Reisverschluss der Großsegelpersenning geschlossen, begannen dicke, schwere Regentropfen auf mich herunterzuprasseln. Während sich die Crew unter Deck flüchtete, versuchte ich schleunigst in Richtung Ruster Bucht zu entfliehen, als die ersten Böen aus südost auf die BlueStripe trafen. Sie waren so gewaltig, dass sich das Boot bis an die Fußreeling zur Seite neigte, obwohl alles Tuch geborgen war und lediglich das Überwasserschiff eine Windangriffsfläche bot. Vorerst konnte ich mit voller Motorkraft gegen den Wind aufkommen und es sah so aus, als könnte ich die Ruster Bucht noch erreichen, als ich eine weiße undurchsichtige Wand auf uns zukommen sah. Ich konnte gerade noch den Niedergang Abschotten, als die ersten Hagelkörner auf das Deck trommelten. Daumennagelgroß schlugen sie wie Geschosse auf das Schiff hernieder. Ich kauerte mich dicht an den Schiffsaufbau um etwas Schutz vor den schmerzhaften Einschlägen der Hagelkörner zu finden. Der Lärm war unerträglich und doch wurde er von ohrenbetäubenden Donnerschlägen, die grellen Blitzen folgten, übertönt. Urplötzlich fand ich mich im weißen Nichts. Rundum verschwand der Horizont. Die Sicht reichte gerade bis zum Vorstag und die Böen nahmen zu. Bis über vierzig Knoten kletterte die Anzeige des Windinstrumentes in die Höhe und die Bootsgeschwindigkeit kam trotz Motorvolllast nur schwer über zwei Knoten. So konnte ich keinesfalls die Bucht erreichen, bevor meine Batterien den Dienst quittieren würden. Ich beschloss mit verringertem Motorvortrieb vor dem Wind abzufallen und mit der Welle abzuwettern. Die Sicht war vollends dahin. Einige Boote wusste ich in relativ weiter Entfernung. So hoffte ich auf keines zu stoßen, als ich vollends die Orientierung verlor. Mit gut vier Knoten surfte ich über die schäumende Gischt, getrieben von heftigen Böen. Ich war völlig durchnässt und durchgefroren, obwohl mich das Wasser, das über das Heck ins Cockpit spritzte vorübergehend erwärmte. Der elektronische Kompass war derart beschlagen, dass keine Ablesung möglich war. Ich wähnte mich Richtung Mörbisch unterwegs, als der Regen nachließ und sich schemenhaft die Silhouette von Illmitz erkennen ließ. Links von mir konnte ich die schwachen Umrisse der Schotterinsel erkennen. Langsam traten in der Ferne auch wieder die nördlichen Hütten der Ruster Bucht in Erscheinung. Der nun wieder aus Richtung Südost kommende Wind musste eine Zeit lang auf Nordost gedreht haben, da ich mich viel weiter südlich befand als ich vermutete. Ich konnte nun wieder einigermaßen auf die Ruster Bucht zuhalten. Nur mühsam stampfte sich die Bluestripe durch die seitlich anprallenden Wellen vorwärts. Ich dachte es konnte nicht mehr allzu lange dauern, als sich abermals der Himmel öffnete und sich unter heftigen Böen entlud. Plötzlich erkannte ich einige hundert Meter entfernt eine gekenterte Jolle. Mehrere Köpfe ragten aus dem Wasser, die verzweifelt versuchten diese aufzurichten. Eine Zweite trieb augenscheinlich verlassen auf die Hütten der nördlichen Bucht zu. Ich ersuchte meine Crew nach anlegen der RTW an Deck zu kommen um eventuell Personen aufnehmen zu können. Der Wind wurde immer heftiger. Ich gab Vollgas und hielt auf die gekenterte Jolle zu. Ich hatte schon einmal bei Wellengang über die Badeleiter am Heck Personen aufgenommen, das hatte ganz gut funktioniert. Ich kam nur langsam näher und überlegte mir bereits wie ich es anstellen würde, als ich in der Ferne die Lichter der Ruster Feuerwehr erkennen konnte. Auch von Norden her näherte sich die Wasserrettung aus Oggau und ein weiteres Motorboot mit mehreren Mann Besatzung. Der Südwind hatte noch keinen deut nachgelassen und ich musste erkennen, dass wir während des ganzen Manövers den Hütten der nördlichen Bucht beträchtlich näher gekommen waren. Trotz Motorvolllast trieben wir gefährlich schnell ab. Am Anker abzuwettern erschien mir die letzte sichere Alternative. Mein Buganker - ein Danforth aus Aluminium- schien mir wenig vertrauenswürdig, deshalb ich mich für meinen dreißig Kilo Danforth entschied, den ich schon mehrmals vom Schiff entfernen wollte, weil ich ihn schon jahrelang "unnötig" mitschleppte. Ich dankte Gott, dass ich immer zu faul war ihn zum Auto zu schleppen und kramte ihn aus dem hintersten Winkel meiner Backskiste hervor. Leider lag die zugehörige vierzig Meter Bleileine gut verstaut im Bug und es war nicht daran zu denken die jetzt hervorzuholen. Ein Reservefall, das ich für Notfälle unter den Fendern verstaut hatte, musste herhalten. Es musste einfach reichen. Anker eingeknüpft und ab über Heck ins Wasser. Ankerleine fieren, fieren, fieren....; Ankerleine bald zu Ende? .....FESTMACHEN!!!! Wie der Blitz kam mir der Gedanke:...die Leine hat ein Ende und ich hab sie nicht festgemacht! Mit voller Kraft zog ich an der Leine um noch über genügend Rest zum Belegen zu verfügen. Plötzlich ein heftiger Ruck. Beinahe hätte mich der Anker über Bord gerissen. Im allerletzten Moment konnte ich die Leine um die Heckreling legen und es gelang uns mit vereinten Kräften das Boot am Anker zu stabilisieren um die Leine an der Heckklampe zu belegen. Mein Herz raste wie wild und ich malte mir aus, was den noch passieren hätte können, hätte ich Anker samt Leine verloren. Nach dieser Aktion hatte ich zwar die Hosen voll, dennoch gelang es mir den ach so coolen, nervenstarken Skipper vor meiner weiblichen Crew zu mimen. Das ist schon eine glanzvolle Leistung auf die ich mächtig stolz bin.... ;-)
Der Anker hielt bombenfest, das Boot schaukelte wie wild umher und jede siebente, achte Welle stürzte mit lautem Getöse über das Heck ins Boot. Luken dicht und ab in den Saloon. Patschnass, aber glücklich davongekommen zu sein, beobachteten wir durch die Fenster die Bergung der Crew der gekenterten Jolle. Ein kurzes "Daumenhoch" signalisierte dem vorbeikommenden Rettungsboot, das bei uns alles in Ordnung war. So konnten wir entspannt abwarten, bis sich das Wetter endlich beruhigte, um anschließend unsere sichere Box im Ruster Hafen aufzusuchen.
Erst später erfuhren wir das neben den zwei gekenterten Jollen und einigen "Schilfflüchtlingen" auch eine Peiso 22 beim Mövenschoppen gesunken war, wobei gottseidank die Crew unversehrt blieb.
Ich denke doch aus diesem Erlebnis einiges an Erfahrung mitgenommen zu haben. Insbesondere bin ich stolz darauf, dass mir mit meiner Frau Susanne und deren Freundin Ana eine außergewöhnlich nervenstarke Crew zur Seite stand, die es nicht scheute auch in einer derartigen Ausnahmesituation ohne Wenn und Aber anzupacken.

ORF Bericht:

Boote in Seenot
Auf dem Neusiedler See selbst herrschte Sturmwarnung. Zahlreiche Boote gerieten in Seenot, alle Boote der Freiwilligen Feuerwehren rund um den See sowie die Wasserrettung Oggau waren im Einsatz, um den Seglern zur Hilfe zu kommen. Mehrere Boote geraten in Seenot und die Segler setzen Notrufe ab.

Polizisten aus Rust retteten im Bereich der Gemeindegrenze Mörbisch/Rust sechs Besatzungsmitglieder von deren Segelbooten, entdeckten aber auch noch ein gekentertes Segelboot. Der Polizeihubschrauber wurde angefordert, um bei der Suche nach den Vermissten zu helfen. Dabei wurden zwei andere im Schilf gestrandete Segler gefunden und gerettet. Auch die Besatzung des gekenterten Bootes überstand das Unwetter unverletzt: Sie wurden von Mitgliedern einer Segelschule an Land gebracht.


wetter.ORF.at

Genau das ist auch der Grund warum ich den Bericht so ausführlich niedergeschrieben habe. Wenn auch ein wenig übertrieben, um den Leser bei Laune zu halten, zeigt sich doch wie unberechenbar die "Feuchte Wiese" sein kann. Auch ich bin wieder mal um einige Erfahrungen reicher geworden...